Ihrem Betrieblichen Gesundheitsmanagement fehlt ein wirkungsvolles Angebot zur Suchtprävention?
Da sind Sie nicht alleine. Befragungen von Unternehmen zeigen, dass Beschäftigten in diesem Thema in der Regel wenig bis gar nichts angeboten wird.
Klasse, wenn Sie das in Ihrer Organisation ändern wollen!
Und dafür empfehle ich Ihnen: Gründen Sie ein Netzwerk von Suchtkrankenhelfern.
„Suchtkrankenhelfer-Netzwerk? Wie finde ich denn dafür überhaupt Teilnehmer?“, hat mich kürzlich eine Kundin gefragt.
O.k. Das erkläre ich hier gleich.
Vorweg muss ich Ihnen etwas erzählen.
Eine kurze Geschichte
Er, der trockene Alkoholiker
Wir sitzen seit einer Stunde zusammen. Bei Wasser und Kaffee in der Kantine.
Ich, die Gesundheitsmanagerin, die sich nicht vorstellen kann, dauerhaft auf ein schönes Glas Chardonnay zu verzichten. Er, der trockene Alkoholiker, der seit 3 Jahren keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken hat.
Er erklärt, wie er da reingerutscht ist – in die Alkoholsucht.
- Er beschreibt den immensen Druck als Führungskraft mit einem großen Verantwortungsbereich und wie nachts die Angst kam, zu versagen.
- Er erzählt von den Problemen in der Familie und den Problemen mit der neuen Chefin, die mit ihm nicht klar kam und mit der er nicht klar kam.
- Er spricht von seiner Hilflosigkeit und wie es die regelmäßige Flasche Wein abends am Anfang etwas leichter gemacht hat.
- Und er redet über seinen Absturz.
Und dann erfahre ich, wie es ihm in der Suchtklinik ergangen ist. Es geht um die Qualen im Entzug, um Psychotherapie und um seine Überraschung, als er Kollegen und Kolleginnen aus anderen bekannten Unternehmen dort getroffen hat.
Nach wie vor ist der Umgang mit Alkohol oder mit alkoholisierten Beschäftigten das am häufigsten auftretende Suchtthema in der Arbeitswelt. Quelle: DGUV
Während er spricht, guckt er mich kaum an. Trotzdem: Er wirkt stark, klar und entschlossen. Er beeindruckt mich sehr.
In dieser einen Stunde habe ich unglaublich viel über Suchtprävention gelernt
In dieser einen Stunde habe ich mehr über Suchtprävention gelernt, als aus den vielen Artikeln, die ich dazu gelesen habe.
Und als wir uns trennen, ist mir ´ne Menge klar geworden:
✨Wir müssen unsere Führungskräfte schulen und unterstützen. Damit sie Sucht als Erkrankung – nicht als Schwäche – ansehen. Damit sie hin- und nicht weggucken. Damit sie wissen, wie sie Gespräche mit Betroffenen erfolgreich führen können.
✨ Im BGM entscheide ich oft „vom grünen Tisch“. Ja sicher, ich baue auf meiner Erfahrung auf, rede mit Experten, mache allgemeine Analysen und lese Fachinfos.
Aber:
„Feingeschliffene“ Interviews in Fachzeitungen, Expertenmeinungen aus zweiter Hand und hoch aggregierte Zahlen sind gut und schön.
Doch nichts gibt mir so viel Verständnis darüber, welche Maßnahmen im Unternehmen wirklich notwendig sind – nichts motiviert mich so sehr, ein Handlungsfeld im BGM anzugehen, wie ein vertrauliches persönliches Gespräch mit einem Betroffenen.
✨ Wir brauchen in diesen sensiblen Themen wie zum Beispiel Suchtprävention mutige Verbündete. Nein, nicht nur Psychologen oder Sozialberater. Wenn ich Betroffene erreichen und unterstützen will, dann geht das am besten gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen, die es geschafft haben, von der Sucht wegzukommen.
Es war die Geburtsstunde unseres Suchtkrankenhelfer-Netzwerks.
Was sind eigentlich betriebliche Suchtkrankenhelfer?
Allgemein versteht man unter Suchtkrankenhelfern und -helferinnen Beschäftigte in Betrieben und Verwaltungen, die Ansprechpartner für Suchtthemen sind. Und dabei geht es nicht nur um Alkohol, sondern auch um Drogen, Medikamente und nicht-stoffliche Süchte.
Allerdings ist Alkoholsucht das am häufigsten auftretende Thema im Arbeitskontext. Lesen Sie dazu auch meinen Artikel zur Suchtprävention im BGM Alkohol am Arbeitsplatz.
Ihre Hauptaufgabe:
Sie stehen – im Sinne einer kollegialen Beratung – Betroffenen und deren Umfeld für vertrauliche Gespräche und Unterstützung zur Verfügung.
Der Gedanke dahinter ist: Betroffene wollen sich manchmal nicht direkt an interne Sozialberatungen, Betriebsärzte oder externe Stellen wenden. Da kann die Kontaktaufnahme zu einem Kollegen oder einer Kollegin eine kleinere Hürde sein.
Es ist in der Regel eine ehrenamtliche Arbeit, für die jemand nicht unbedingt selbst betroffen sein muss.
Jedoch:
!! Tipp: Wenn Sie ein Suchtkrankenhelfer-Netzwerk aufbauen, dann bitte versuchen Sie erstmal, Personen zu finden, die persönliche Suchterfahrungen mitbringen. Betroffene werden denjenigen leichter Vertrauen schenken, weil sie denken: „Die waren in einer ähnlichen Situation wie ich. Die wissen, wovon sie reden“!!
Wie finden Sie potenzielle Suchtkrankenhelfer in Ihrer Organisation
Ein offizieller Aufruf in die Belegschaft wird Sie wahrscheinlich nicht weiter bringen. Es muss schon eine außerordentliche Vertrauenskultur in Ihrem Unternehmen herrschen, wenn sich darauf Interessente bei Ihnen melden.
Ich schlage Ihnen einen anderen Weg vor. So bin ich in meiner Arbeit als Health Managerin erfolgreich vorgegangen:
Bitten Sie Ihren Betriebsarzt und, falls vorhanden, auch Ihre Sozialberatung darum, nach möglichen Kandidaten für Ihr geplantes Netzwerk zu suchen. Erläutern Sie Ihr Vorhaben. Erklären Sie, welche Erwartungen Sie an die zukünftigen Suchtkrankenhelfer haben und welche Voraussetzungen diese mitbringen sollten.
Reden Sie auch mit PersonalberaterInnen und BEM-Beauftragten. Fragen Sie Ihre Sicherheitsfachkräfte und Ihre Interessenvertretung.
Diese Personengruppen haben eine beratende Rolle in Organisationen und wissen daher oft mehr über den persönlichen Hintergrund und die privaten Probleme von Beschäftigten. Sie werden vermutlich den einen oder anderen Mitarbeitenden kennen, der suchtkrank ist.
Selbstverständlich werden Sie in der Regel nicht den Namen eines möglichen Interessenten erfahren.
Niemand wird Ihnen sagen: „Der Max Mustermann, der ist jetzt trocken, den kannst Du mal ansprechen“.
Daher:
Bitten Sie diese Personen (den Betriebsarzt, die Personalerin, den Betriebsrat, …) darum, dass sie bei den jeweiligen Beschäftigten vorfühlen, ob Interesse an einer Tätigkeit als Suchtkrankenhelfer besteht. Und wenn ja, bitten Sie darum, das der- oder diejenige sich bei Ihnen meldet.
!! Tipp: Versichern Sie, dass InteressentInnen sich auf Ihre absolute Verschwiegenheit verlassen können und halten Sie sich zu 100 % an dieses Versprechen.!!
Was tun, wenn sich keiner meldet?
Ja klar, es kann Ihnen passieren, dass sich niemand findet. Je kleiner das Unternehmen oder die Verwaltung, um so höher ist das Risiko dafür.
Was dann?
Hier einige Ideen für Ihren Plan B:
🎯Sie bauen das Netzwerk mit Personen auf, die keine eigene Suchterfahrung, aber Interesse an kollegialer Beratung haben.
🎯Sie kooperieren mit Unternehmen in der Region. Wenn Sie gut vernetzt sind und Gesundheitsverantwortliche anderer Betriebe kennen, können Sie über ein gemeinsames, überbetriebliches Suchtkrankenhelfer-Netzwerk nachdenken.
🎯Sie nutzen externe, außerbetriebliche Netzwerke in Ihrer Region.
Worauf Sie beim Aufbau eines Suchtkrankenhelfer-Netzwerkes achten wollen
Tipp 1: Lassen Sie die Eignung der Interessenten prüfen
Mal angenommen, Sie folgen meiner Empfehlung: Sie wollen Beschäftigte mit eigener Suchterfahrung dafür gewinnen, anderen als kollegiale Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen
Dann brauchen Sie Personen, die soweit psychisch stabil, belastbar und abstinent sind, dass sie ein Ehrenamt neben dem eigentlichen Job auch meistern können. Üblicherweise sagt man, es sollte eine 2jährige Abstinenzzeit vergangen sein.
Denn was Sie auf keinen Fall wollen: Dass die ehrenamtlichen BeraterInnen durch die zusätzliche Aufgabe überfordert werden. Dass sie in alte (Sucht-)Muster zurückfallen.
Kommt hinzu, dass der- oder diejenige einigermaßen kommunikativ sein soll und die Zeit und Bereitschaft mitbringt, sich fortzubilden.
Kurz und gut:
Nicht jeder Interessierte ist auch geeignet für die Aufgabe. Darum muss jemand die Eignung überprüfen. Zum Schutz der Beratenden und zum Schutz der späteren Beratungs-Suchenden. Wer könnte das übernehmen?
Ich habe in meiner Arbeit damals unsere Sozialberaterin gebeten, Gespräche mit den Interessenten zu führen und eine Einschätzung abzugeben. Auf ihre Meinung konnte ich vertrauen.
Tipp 2: Formulieren Sie einen schriftlichen Auftrag
Damit das Suchtkrankenhelfer-Netzwerk funktioniert, sorgen Sie unbedingt für eines: Für Rollenklarheit!
Denn kollegiale Ansprechpartner sind keine Suchtberater und keine Psychotherapeuten und dürfen daher auch nicht diese Rollen übernehmen. Ihre Aufgabe ist es, Betroffene zu ermutigen und dabei zu unterstützen, sich in professionelle Beratung zu begebenen. Nicht mehr – aber auch nicht weniger.
Dabei hilft ein schriftlich formulierter Auftrag an die Suchtkrankenhelfer. Dieser Auftrag sollte zum Beispiel folgende Punkt erläutern:
- Was genau ist die Aufgabe des Suchtkrankenhelfers und was nicht?
- Wem ist er oder sie fachlich zugeordnet?
- Wie werden die Suchtkrankenhelfer für ihre Aufgabe geschult?
- Wieviel Arbeitszeit dürfen sie pro Woche oder Monat für ihr Ehrenamt aufwenden?
- Was passiert, wenn eine Beratung außerhalb der Arbeitszeit stattfinden muss
Erwähnen Sie in diesem Auftrag unbedingt auch eine Schweigepflicht, die die Suchtkrankenhelfer über Personen und Inhalte von Gesprächen einzuhalten haben.
!! Tipp: Es ist ein ziemlich dickes Werk, aber sehr hilfreich – dieser Leitfaden der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen DHS. Schauen Sie mal auf die Seite 78. Da finden sich einige Punkte, die Sie bei der Formulierung eines Muster-Auftrages nutzen können!!
Tipps 3: Holen Sie das Einverständnis der jeweiligen Führungskraft ein
Das Ehrenamt als Suchtkrankenhelfer hat Einfluss auf die Hauptaufgabe, die jemand in Ihrem Betrieb hat.
Denn:
Wer als Suchtkrankenhelfer arbeitet, …
- der wird in der Arbeitszeit Gespräche mit Hilfesuchenden führen.
- der wird vielleicht plötzlich seinen Arbeitsplatz verlassen müssen, um zu einem Akutfall zu gehen.
- der muss auch an Fortbildungen teilnehmen.
All das finden Führungskräfte nicht immer gut, denn der jeweilige Mitarbeitende fällt für seine eigentliche Arbeitsaufgabe aus. Ohne das Einverständnis des jeweiligen Vorgesetzten sind die Konflikte und Probleme vorprogrammiert.
Deshalb:
Lassen Sie die Interessenten das Einverständnis ihres Chefs oder ihrer Chefin einholen. Sie können beispielsweise den oben erwähnten Auftrag für die ehrenamtliche Tätigkeit von dem oder der Vorgesetzen unterzeichnen lassen.
Bieten Sie sich für Rückfragen der Führungskräfte als Ansprechpartner an. Das eigentliche Gespräch sollte aber zwischen den Interessenten und deren Vorgesetzten stattfinden.
Tipp 4: Sorgen Sie für Schulungen und Supervision
Bevor jemand als Suchtkrankenhelfer arbeitet, braucht er oder sie eine Schulung.
Auch dann, wenn eigene Erfahrungen mit Suchtthemen vorhanden sind. Die persönliche Betroffenheit ist hilfreich. Aber es ist mehr nötig, um anderen wirklich helfen zu können.
Zum Beispiel:
❗Das Wissen über verschiedene Suchtarten
❗Ein Verständnis über die Entstehung von Sucht
❗Den Unterschied zwischen Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung
❗Methoden guter Gesprächsführung
❗Mögliche Hilfsangebot im Unternehmen und außerhalb
Dafür gibt es bundesweit einige Ausbildungsanbieter. Hier finden Sie mehr Informationen.
Außerdem ist es wichtig, dass die Suchtkrankenhelfer in regelmäßigen Abständen an Supervisionen teilnehmen.
Hierbei können sie in geschütztem Rahmen mit einem professionellen Supervisor über die Gespräche reden, die sie in ihrer ehrenamtlichen Arbeit geführt haben. Sie können sich Rat und Tipps holen, ihr eigenes Verhalten reflektieren und werden so in ihrer Arbeit als Suchtkrankenhelfer sicherer und vermutlich auch besser.
Tipp 5: Halten Sie den Kontakt zu den Suchtkrankenhelfern
Ein Suchtkrankenhelfer-Netzwerk ist eines von vielen Bausteinen Ihres Betrieblichen Gesundheitsmanagements. Achten Sie darauf, dass das auch das Verständnis der kollegialen BeraterInnen ist. Denn das BGM wird nur dann richtig, richtig erfolgreich sein, wenn die Angebote miteinander vernetzt sind.
Was Sie dafür tun können:
- Führen Sie am Anfang ein persönliches Gespräch mit jedem Interessierten. Schildern Sie Ihre Erwartungen. Klären Sie die Erwartungen und Möglichkeiten der jeweiligen Interessenten.
- Vereinbaren Sie regelmäßige (1 – 2 x p.a.) gemeinsame Treffen mit dem Netzwerk. Informieren Sie darin über das BGM und die Angebote, die es gibt.
- Bieten Sie sich als Ansprechpartner für Fragen, Wünsche, Schwierigkeiten etc. an.
Bevor Sie loslegen: Bereiten Sie Ihr Vorhaben gut vor
Wahrscheinlich ist es völlig überflüssig, Ihnen das mit auf den Weg zu geben. Ich mach´s trotzdem😏 :
Wenn Sie ein Ehrenamt im Unternehmen einführen wollen, noch dazu in einem solch´ heiklen Thema wie Suchtprävention, dann brauchen Sie die Rückendeckung Ihrer obersten Führungsebene.
Und – nicht vergessen – da gibt es auch noch das Thema „Mitbestimmung“: Sie brauchen die Genehmigung Ihrer Interessenvertretung – sofern vorhanden.
Beides sollten Sie wirklich gut vorbereiten.
Daher:
Bevor Sie auf die Suche nach potenziellen Suchtkrankenhelfern in Ihrer Organisation gehen: Beschreiben Sie Ihr Vorhaben zum Aufbau dieser kollegialen Beratung in einem Konzept. Stimmen Sie das mit Ihrer Personal- und oder Geschäftsleitung oder mit Ihrem Steuerungskreis ab.
In diesem Konzept sollten Sie – neben den vorgenannten Themen – auch folgende Punkte ansprechen:
- Was ist Ihr Ziel? Warum braucht Ihre Organisation Maßnahmen zur Suchtprävention?
- Welchen Nutzen hat das Suchtkrankenhelfer-Netzwerk?
- Soll eine Betriebs-/Dienstvereinbarung abgeschlossen werden? Falls Sie hierfür ein Muster suchen: Dienstvereinbarung Suchtprävention
- Woran messen Sie den Erfolg des Netzwerkes?
- Wieviel Budget brauchen Sie und wofür werden Sie es verwenden?
- Wie und wann soll die Kommunikation ins Unternehmen erfolgen?
Ich fass´ mal zusammen
Wenn Sie den Artikel bis hierhin gelesen haben, dann denken Sie vermutlich: „Klingt nach viel Arbeit“.
Ja, das ist schon so. Denn Sie brauchen ..
- ein abgestimmtes Konzept,
- eventuell eine Betriebs-/Dienstvereinbarung,
- eine klare Auftragsbeschreibung,
- ein Schulungs- und Supervisionsangebot,
und vor allem: geeignete TeilnehmerInnen.
Deshalb sollten Sie sich auch Zeit dabei lassen. Ein Suchtkrankenhelfer-Netzwerk bauen Sie nicht in einem Monat auf.
Aber wenn Sie es haben, dann ist ein großartiges Hilfsangebot für Betroffene und ein starkes Signal, dass Ihre Organisation Suchtprävention und Gesundheitsförderung wirklich ernst nimmt.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei!
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